Der Aufstand der Integrierten

Integration ist nicht in erster Linie gut für Migranten, sie ist vielmehr lebenswichtig für die bereits Integrierten. Aber nicht nur Migranten sollen sich anpassen, alle sollen. Und wollen. Denn alle wollen innen sein, außen ist out. Das ist die Stunde der Vermittler. Heiner Geißler holt alle rein. Zur Zufriedenheit auch der Linken.

Die USA haben Sarah Palin und die Tea-Party-Bewegung, in Deutschland sind Thilo Sarrazin und seine Magdalenen Thea Dorn und Alice Schwarzer auf dem Kreuzzug. Natürlich gibt es Unterschiede. In den USA fühlen sich Antiintellektuelle, in Deutschland eher Intellektuelle in solchen Strömungen wohl, und beide haben ihre eigene Geschichte. Deutsche Nationalbürger wie Fichte, Arndt und »Turnvater« Jahn kamen 1842 auf das »Blutrecht«, um Juden und »Zigeuner« wegen »orientalischer Herkunft« auszugrenzen. Sarrazin tauschte Blut gegen Gene aus, übertrug die »orientalische Herkunft« auf Türken und Araber und berechnete – in Treue zur deutschen Aufklärung, die durch den Nationalsozialismus gegangen war – ihren Schaden für die Volkswirtschaft. Als Banker, dessen Zunft gerade 470 Milliarden verspielt hatte.

Die Deutschen nahmen die modifizierte Fassung vom werten und unwerten Leben dankbar auf, weil sie ihren rassistischen Stau löste, für den sie eine Multikultur, die ihnen niemand aufgezwungen hatte, haftbar machten. Für ihren Seelenfrieden gab es dann Integrationskurse, Integrationspreise vom Innenministerium (einer ging an die Berliner Polizei), einen Bambi für die beste Integration. Man hatte Migranten, von denen bald nur noch Zwangsehen und Angriffe auf deutsche Kinder vermeldet wurden, zum Objekt der nationalen Vergemeinschaftung degradiert. Keiner mehr sollte von der Norm abweichen. Nicht einmal das Heimweh, das Udo Jürgens den »Fremden« in seinem Lied »Griechischer Wein« gelassen hatte, sollte ihnen bleiben.

Sarrazin hat vielen Deutschen ein neues Selbstwertgefühl gegeben – und blieb doch einer von ihnen. Wie sie kann er nicht reden und schreiben, verwendet er untaugliches Material, um Vorurteile nicht in Frage stellen zu müssen. Die Massen strömten in seine Vorträge, rissen ihm das Buch aus der Hand, das Platz drei hinter der Bibel und »Mein Kampf« ansteuert, bis 92 Prozent (die größte Protestbewegung auf deutschem Boden) verlangten, dass der Staat »Ausländer härter anfassen« soll.

Warum so streng? Integration ist nicht in erster Linie gut für Migranten, wie die Propaganda suggeriert, sie ist vielmehr lebenswichtig für die bereits Integrierten. Wer mit Haut und Haaren integriert ist, wer alle Regeln und Vorschriften achtet, die sein Über-Ich ihm als Wunsch des Vaterlandes, der Firma, der Nachbarn und der Ahnen eintrichtert, erträgt nicht, dass noch irgendwer draußen ist. Nach Begegnungen mit Nicht-Integrierten, ob Migrant oder Anarchist, möchte er sich die Hände waschen oder den Führer rufen, damit er sie in ein Lager steckt. Die Aufklärung hat die Naturgeister durch Produktivitätsriten und Selbstzucht vertrieben, seitdem lebt der Aufgeklärte in ständiger Angst, sie könnten zurückkommen – verkleidet als Afrikaner, Türken, Araber, Roma.

Man dachte, die Ordnung sei wieder hergestellt, da hieß es plötzlich, der deutsche Bürger fühle sich nicht mitgenommen. Wie das Kind, das beim Einkaufsbummel seine Eltern aus den Augen verliert. Der Bürger will gefragt werden, der Bürger will mitreden. Der Bürger will alles Mögliche – zum Beispiel Pompeji retten. Am vorvergangenen Samstag stürzte dort das »Haus der Gladiatoren« (Casa dei Gladiatori) ein. »Im Morgengrauen«, schrieb die FAZ. Die Stadt gehöre der Menschheit, ihr Verfall sei »eine Bankrotterklärung der europäischen Kultur«. Was dem einen sein Pompeji, ist dem anderen sein Bahnhof. Dank Winfried Wolf wissen wir, dass bereits Württembergs Wilhelm I. auf einen Kopfbahnhof drängte, wo dem »Gast ›ein großer Bahnhof‹ bereitet« wird. Wolf hat es ganz besonders der »charakteristische Bahnhofs­turm« angetan.

Sicher wollten die Rentner und Kinder (das berufstätige Alter ist nicht empathietauglich; im Wendland sind stets Bauern ohne Sünde) für diesen klobigen Klotz ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Aber die Polizei musste ihnen Pfefferspray in die Augen sprühen, damit Heiner Geißler am Runden Tisch sagen konnte, man werde zeigen, wie man Argumente »ohne Trillerpfeifen und Pfefferspray« austausche, und »den Leuten im Sinne von Immanuel Kant selbständiges Denken« beibringen. »Das Vertrauen in unsere Demokratie ist geschwunden. Wir wollen neues Vertrauen schaffen.« Er schlurfte um den Tisch herum, und die Reporterin sagte gedämpft – wie bei der Übertragung einer Adelshochzeit aus der Kathedrale: »Jetzt schüttelt er die Hand von Peter Conradi, ein Bahnhofgegner.«

Draußen sangen Rentner nach der Melodie von Beethovens Neunter die Ode an den Bahnhof: »Freunde schöner Kopfbahnhöfe, lasst uns Kopf an Köpfchen steh’n … Freunde schöner Grund­gesetze und des freien Volksentscheids. Niemand will das Recht verletzen, wir woll’n nur ein bisschen Schweiz … wir sind das Volk, wir sind das Geld … drum mit friedlichen Gebärden stell’n den Fuß wir in die Tür … « Kommt doch rein, sagte Geißler, wer nur etwas Schweiz will, ist willkommen. Da drängten sie hinein, denn für Kleinbürger ist der Runde Tisch wie der magische Kreis, den der Schamane für seine Beschwörungsrituale zieht. Wer draußen steht, dem droht Unheil. »Stuttgart ist so schön. Man muss ja nicht auf dem Bauplatz herumlaufen«, sagte der Mediator, wer das vorhabe, dem werde er »Matthäus« vorhalten: »Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heißen.« Dann ging es um Winkelbeton, Bahnsteighöhen, Tunnel, Steuergelder.

Wegen der Kämpfe gegen die Startbahn West gründete Hans Eichel (SPD) 1998, vor dem nächsten Ausbau, den »Gesprächskreis Flughafen Frankfurt« mit drei Mediatoren. Nach 24 Sitzungen, 20 Gutachten und 15 Anhörungen war der Bau unter Dach und Fach. »Stuttgart 21« zog sich ohne Mediation fast 30 Jahre hin. Es wurde also Zeit. Der Runde Tisch symbolisiert die hohe Schule des geistigen Taylorismus, in der Menschen sich nicht als Menschen, sondern als Experten begegnen, die sich von spontanen Regungen abgestoßen fühlen. Nur der Mediator darf Bonmots einstreuen. Der Experte ist der Held der integrierten und auf den unmittelbaren praktischen Zweck orientierten Gesellschaft. Dass »Phoenix« die zweithöchste Einschaltquote seit Bestehen meldet, verwundert nicht. Schon lange gleichen Polit-Talks öffentlich tagenden Parlamentsausschüssen und Ingenieurbüros. Der Technokrat hat den charismatischen Führer, der noch das »r« rollen konnte, abgelöst.

Als ob der Zirkus nur für den smarten Grünen Boris Palmer (Oberbürgermeister von Tübingen) inszeniert würde. Er ist der Star der Runde, er wird am Ende alles verkaufen. Den denkmalgeschützten Bahnhofsturm mit unterirdischem Durchgangsbahnhof oder die »Ertüchtigung des Kopfbahnhofes«, wie er sagt. Ihm traut man die »Ertüchtigung« der ganzen Republik zu. Die SPD ist nur durch die Generation »70 plus« vertreten und CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus sondert im tradierten Stil Polemiken ab (»Ich schlage mich nicht in die Büsche«). Doch Palmer zerlegt sachkundig »Stuttgart 21« und rechnet und rechnet. Letzte Meldung: Die Finanzierung der Trasse von Wendlingen nach Ulm ist nicht gesichert.

Widerstand gegen Bauvorhaben und Stadtteilplanung kann sinnvoll sein, weil die Macht oft mit einzieht. Unterstellen wir, die Deutschen hätten im Dritten Reich den Bau der Hauptstadt »Germania« und den Völkermord verhindert. Das hätte ihnen Weltruhm eingebracht. Hätten sie aber »Germania« aus Gründen des Denkmalschutzes kritisiert und die Menschen getrost draufgehen lassen, wären sie verkommene Subjekte gewesen – was sie zweifellos waren. Auf heute bezogen: Jeder Bahnhofgegner und Bauer auf dem Trecker ist zu fragen, was er am nächsten Tag gegen die Versenkung von Flüchtlingsschiffen tun will.

Die Bürger wollen die Atomkraft nicht mehr. Drei Viertel betrachten sie als Altlast, die weg soll. Der unbekannte CDU-Politiker bei »Maybritt Illner« erntete für seinen Vortrag über »Brückentechnologie« nur noch Spott. Die Atomkraft und der Castor sprechen eine andere Dimension an. Hoch radioaktiver Müll bleibt 40 000 Generationen lang gefährlich. Daran gemessen hätten wir es heute mit Stoffen aus der Epoche vor Homo Sapiens zu tun. Hier geht es um die grandiose Dialektik, dass das System das Fundament der Integration durch das Gefährdungspotential zerreißt, während der Protest um friedliche Integration bemüht ist. Ausgenommen konfliktbereite Reisekader, die sich vielfältig politisch engagieren, auch dann, wenn der Castor-Event vorbei ist.

Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben den Frieden gestört! Der rot-grüne Atomkompromiss, sagte Gregor Gysi, habe Deutschland »endlich einen inneren Frieden« gebracht. Bärbel Höhn von den Grünen offenbarte: »Wir haben mit dem Atomkonsens ein Thema abgeräumt, dass die Republik Jahrzehnte beschäftigte.« Beide identifizieren den Widerstand als Störung des nationalen Friedens, kurven danach aber unbehelligt auf Treckern durchs Wendland. Auch führende Grüne, die im Konsens mit Konzernen festgelegt hatten, dass Atomanlagen für weitere 20 Jahre in Betrieb bleiben dürfen. Das gab vier bis fünf Regierungen die Möglichkeit, weitere Verlängerungen vertraglich zu vereinbaren. Wenn bald Rot-Grün regiert, werden wir den Unterschied zwischen einem lockeren Konsens und einem Vertrag kennenlernen.

Die Junge Welt fragte Stephan Brandt von Radio Freies Wendland: »Welche Ziele setzen Sie sich für die Zukunft?« Antwort: »Wir wollen, dass kein Castor mehr rollt und es keinen Widerstand mehr geben muss.« Nicht nur, dass Nöte und Grausamkeiten des Landlebens ausgeklammert werden. Sobald der Müll nach Sibirien kommt, soll die Angelegenheit erledigt sein. Eine Bäuerin, die Zimmer vermietet, sagte: »Bei uns können Sie Ihre Ferien verbringen, unser Dorf ist ausländerfrei.« Jochen Stay sprach von einer »Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes«, die Sprecherin der Grünen Jugend wollte nicht Polizisten begegnen, die durch die Nachschubblockade »völlig übernächtigt und durchgefroren sind und die auch nicht mehr wissen, was sie tun sollen«, die Armen.

Das System erträgt seine technische Erneuerung in friedlicher Absicht. Deshalb darf die Linke im Schlosspark und im Wendland mit den Massen schwimmen. Wenn es um ausgebeutete, diskriminierte und verfolgte Menschen geht, kommen keine 50 000 mehr. Die kleine Demonstration gegen die Innenministerkonferenz in Hamburg, die unter anderem über die Abschiebung der »Inte­grationsverweigerer« beriet, wurde wie ein Gefangenentransport durch die Stadt geleitet.

Der Bürger will dies nicht und will das nicht, aber was ist die Quintessenz? CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt meint: »Diejenigen, die gestern gegen Atomkraft demonstrierten und heute gegen ›Stuttgart 21‹ sind, müssen sich nicht wundern, wenn übermorgen ein Minarett in ihrem Garten steht.« Eine kühne Vision: Wer Investitionen behindert, leistet der Islamisierung Vorschub! Auch Anne Will wollte von ihren Gästen wissen, warum »Deutschland« zu einem »einig Blockadeland« geworden sei, während der Chinese keine Angst vor der Zukunft habe. Thea Dorn, die von der islamischen auf die gelbe Gefahr gekommen war, äußerte ihre Angst vor Blockaden, vor China und dem Niedergang Deutschlands: »Wo sind denn die Benz, die Daimlers, die von Siemens? Wo sind die denn in den letzten 20, 30 Jahren?« Ihr sei »nicht wohl, wenn ungeordnete Zustände herrschen«. Wie Ordnung aussieht, erläuterte der deutsche Architekt, der in China eine neue Stadt für 600 000 Menschen baut. Da geht alles fix. Beton und Arbeitskräfte sind pünktlich zur Stelle. Im Wendland werde geschottert, hatte Anne Will gehört: »Ist das die Lösung, Herr Ströbele? Was kann man in Deutschland noch machen, ohne dass Krawall ausgelöst wird?«

Liebe Kleinbürger! Alles kann man in Deutschland machen! Migranten als unwertes Leben bezeichnen, die größte Containerflotte der Welt betreiben, High-Tech-Produkte aller Gattungen exportieren, Menschen leihen und verleihen, den Atommüll in die Tundra verfrachten und neben Solar-Häuser Windmühlen stellen. In China gibt es tausend Mal mehr Blockaden als in Deutschland. Wenn dort für einen Staudamm eine Fläche von der Größe Baden-Württembergs entvölkert werden soll, werden Massen von blockierenden Menschen vertrieben, interniert oder umgebracht.

Wir erleben einen Ausschnitt des ewigen Konflikts zwischen Tradition und Moderne, der heute in vollkommener Immanenz ausgetragen wird. Die Bahnhofsmissionäre sind unmittelbar bei der Sache, die Initiativen gegen Technologien, Nahrung und andere Dinge verleihen durch ihre alternativen Angebote dem modernen »Bio-Kapitalismus« ethische Weihen. Nicht der Schotterer, die Sarrazin-Front steht der Moderne im Weg. Aus den Kreisen der Demonstranten werden Ingenieure und Firmengründer hervorgehen, die den Kapitalismus mit »grüner« Energie, Elektroautos, biotechnischer Agrarindustrie, mit schwimmenden Städten, Nutzung der Sahara-Sonne und Grünhelmen zur Sicherung der Trassen rund­erneuern. Modernisierung bildet die Grundlage des Aufstiegs der Grünen zur Volkspartei. Früher war’s die CSU, heute verknüpfen die Grünen Denkmalpflege und Moderne. So glaubwürdig, dass 35 Prozent der Unternehmer sie wählen. Nebenbei profitieren sie davon, dass der Bürger sich über seine letzte Wahlentscheidung ärgert. Er sinnt auf Rache und kommt dabei – weil SPD und Linke ihm zu rot vorkommen – auf die Grünen.

Die Grünen werden auch am ehesten das Kernproblem des deutschen Kapitals lösen: die Beschaffung von ausbeutbaren Menschen aus dem Ausland. Die Wirtschaft kommt mit diversen Bahnhöfen und Energieformen klar, aber nicht mit dem Fachkräftemangel, der die Produktion von Mehrwert behindert. Die Uni Bochum ermittelte in einer Studie, dass Deutschland nicht sehr »offen« sei für Ausländer und infolgedessen auf ausländische Ingenieure »keinen Reiz« ausübe. Um die Rassisten im Land zu besänftigen, werden neuerdings integrationstaugliche Migranten ausgestellt. Das Verlagshaus Burda ehrte Udo Lindenberg mit dem Bambi für sein Lebenswerk, das in der Laudatio auf den »Sonderzug nach Pankow« zusammenschmolz, und anschließend Mesut Özil mit dem »Bambi 2010 für Integration«. Die Türken hätten ihn haben wollen, »doch für Mesut Özil war immer klar: Er spielt für Deutschland.« Die Kulturprominenz erhob sich. Rührend, wie Özil, der in Spanien lebt, sich in Deutsch, Türkisch, Spanisch und Englisch verabschiedete.

Laut Niklas Luhman (»Die Gesellschaft der Gesellschaft«) protestiert die Gesellschaft in Form der Protestbewegungen gegen sich selbst und bleibt auf diese Weise innovativ. Einiges spricht dafür. Heutige Proteste sind offen für alle Klassen und Schichten, und sie appellieren an den existierenden Staat, er möge ihre Vorschläge realisieren. Selbst die mutige Aktion spiegelt das Vertrauen in den Staat. Wer seine Füße zwischen Gleisen einbetoniert, muss ein unerschütterliches Vertrauen in die Exekutive haben. In vielen Staaten würde das Opferritual tödlich ausgehen.

Frühere soziale Revolutionen und Erneuerungsbewegungen zielten auf die Umwälzung der Staatsform und die eigene Macht. Protest, Grüne und Linkspartei skizzieren das Ende der Befreiungsutopie. Sie streben keine neue Gesellschaft an, die frei wäre von Ausbeutung und Hierarchien, in der Individuen sich die Zeit und alles andere aneigneten, um von allen Zwängen befreit sich zu entfalten. Die groteske Theatralik, mit der alternative Ingenieure ihren Bahnhof verkaufen, offenbart den Mangel an revolutionärer Gesinnung im Verhältnis zur technischen Überreife des Kapitals.

Und während die Grünen Volkspartei werden, saufen Linke sich die Lage schön. Die Zeitung AK (Analyse & Kritik) schreibt über »Stuttgart 21«, der politischen Klasse sei es wegen der »enormen Gegenmacht« nicht gelungen, einen »aktiven Konsens (Gramsci) zu organisieren«. Nun stehe »die Frage im Raum, wie eine Gesellschaft aussehen soll und kann«. Wie wär’s mit der Räterepublik? Greift zu! Ein »Empire«-Fan sieht eine mächtige »Assoziation in Gestalt der Koordination« (?). Die Multitude (frei übersetzt: Volksmasse) beziehe ihre Kraft daraus, dass die »Killesberger Halbhöhenlage der Stuttgarter Mittelklassen eine wichtige Rolle spielt«. Gemeinsam mit den gut Betuchten gehe es nun »um die Frage der Macht … sowie ganz allgemein um die Frage nach dem richtigen Leben«.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, nur richtige Bahnhöfe, und nur weil Geißler freundlich mit einem spricht, ist man noch lange nicht an der Macht. Der Runde Tisch ist wie die betriebliche Mitbestimmung nur der Kitt, der die Menschen an die Macht bindet und von ihr fernhält. Von revolutionärem Optimismus soll auch das Buch »Der kommende Aufstand« (siehe Dschungel, Seiten 10/11) künden. Der Weltaufstand und der Zusammenbruch des globalen Systems stünden kurz bevor. Wenn das ausbleibt, muss man nicht gleich resignieren, sondern den Untergang nur immer wieder in die Zukunft zu verlegen – wie das die Zeugen Jehovas tun. Uwe Seeler schrieb in seiner Autobiografie, wenn Mutter ihn in den dunklen Keller sperrte, habe er laut gepfiffen. Mutter habe ihm daraufhin den Spitznamen »Flötenheini« gegeben.

Vielleicht einigen wir uns darauf: Dass 72 Prozent der Deutschen Langzeitarbeitslose in die Zwangsarbeit stecken und 92 Prozent Migranten härter anfassen wollen, sollte die Linke dazu veranlassen, den Vorschlag von Gregor Gysi (»es bewegt sich etwas in unserem Land«), die repräsentative Demokratie durch »Formen der partizipativen Demokratie« zu erweitern, erst dann in Erwägung zu ziehen, wenn sie die Kontrolle über die Information und die Themenwahl ausübt.

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