Der Hass in den Augen
Haupt-Reiter
Pegida versus Islam und beide gegen das lebendige Leben
Zwei Tage nach der Kundgebung der Prominenz vor dem Brandenburger Tor, wo Sigmar Gabriel ganz gerührt war über den Satz: „Wir alle sind Deutschland“, sagte ein Geflüchteter aus Eritrea, dessen Freund soeben auf dem Hinterhof erstochen worden war: „Seit wir in Dresden angekommen sind, sehen wir den Hass in den Augen der Menschen.“ Die Pegidaumzüge mögen irgendwann abflauen, der Hass wird bleiben. Er ist das Lebenselexier der Verfolgungswahnsinnigen, denen das System, in dem nur Wert besitzt, wer dem Leistungsdiktat gewachsen ist und wer brutal genug ist, sich in der Konkurrenz aller gegen alle durchzusetzen, die Empathie ausgetrieben hat. Sie rotten sich zusammen gegen Asylunterkünfte oder Moscheen und gehen zum Pegidamarsch, um aus dem Vollen zu schöpfen: Einwanderer, Geflüchtete, Juden, Muslime, Linke, Amerikaner, Sozialschmarotzer, Politik und Parteien. Ein Paradies. Im ereignislosen Alltag verklagen sie ihre Nachbarn aus geringem Anlass. Sie gleichen dem Menschentypus, der in der Reichspogromnacht jüdische Wohnungen ausraubte und mit dem Radio und dem Kinderspielzeug ums Haus schlich. Wäre bei Asylbewerbern etwas zu holen, sie würden es ihnen stehlen. Dass in Sachsen kaum Moslems und Juden leben, wissen sie. Rassismus und Antisemitismus haben nichts mit den stigmatisierten Gruppen zu tun, sie drücken nur die eigene Verkümmerung der Rassisten und Antisemiten aus.
Die Verachtung, die Pegida der Politik und den Medien entgegenbringt, beantworten die mit „Verständnis“ für Abstiegsängste der Mittelschicht. Bei Günther Jauch definierte der Chef der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen die Demonstranten als „besorgte Bürger, die sich viele Gedanken machen“, nur „allein reisende junge Männer aus Afrika“ würden sie nicht mögen, „gegen deren Kultur haben sie etwas“. Statt nun aber problembewusst über Potenzängste zu sprechen, beteuerte die Runde, dass die Politik Fehler gemacht habe. Der Vorsitzende der Leipziger Linken will „Nöte und Ängste“ der „Durchschnittsbürger aus der Mitte“ ernster nehmen. Ebenso unerträglich ist der „linke“ Verschwörungswahn, der sich von Pegida-Parolen kaum unterscheidet. Nach den Massakern in Paris wollte die „Junge Welt“ aufklären, „was hinter dem Verbrechen steht“. Was ist das? „Die Regierung der USA und ihre Vasallen (...) sind es, die die Fundamentalisten anwerben.“ Gemeint sind die Mörder. Ein „tödliches Klima“ sei entstanden durch die „Unterstützung des Massenmörders Benjamin Netanjahu“ und eine „überharte Haltung gegen den Iran“. Wenn der linke Verschwörer Schuldige sucht, fallen ihm Amerikaner und Juden ein. Demnach hätten die USA also Islamisten angeworben, um Juden zu ermorden, weil Frankreich Netanjahu statt Ahmadinedschad unterstützt! Wer liest so etwas außer mir? Auf die Frage, warum er den Supermarkt überfalle, antwortete der Mörder: „Weil das Juden sind.“ Der gewalttätige Islamismus bemüht sich im Allgemeinen, seine Morde zu legitimieren („Mohammed wurde beleidigt“), nur für die Ermordung von Juden genügt es ihm, dass sie leben.
Die Technische Universität Dresden erforschte, dass 70 Prozent der „Patrioten“ ein gutes Einkommen haben und zwei von drei keine Interviews geben. Aber das alphabetisierte Drittel genügt, um zu erfassen, wie beschädigt die Gesellschaft ist. Ihr Hauptmotiv sei „Unzufriedenheit mit der Politik“. Sicher, sie kreiden der Politik jeden Geflüchteten an, der durchkommt. Sie tragen das Kreuz wie der Klu-Klux-Klan, nur, dass ihres schwarz-rot-gold schimmert und Glühbürnen die Flammen imitieren. „Tod den Schwarzen!“ – „Auf zum Kreuzzug!“ Alle wissen, was gemeint ist. Nicht nur die Nazis, die Ordnerdienste verrichten wie früher die SA, und Interviews überwachen, auch politikerfahrene Rassisten wie Siegfried Däbritz, der im Vorstand der FDP in Meißen saß und Muslime als „Kamelwämser und Schluchtenscheißer“ tituliert. Sie wissen, dass ihre Parolen so oder so ähnlich von der SA gerufen wurden: „Lügenpresse“, „Volk, sei wachsam!“, „Kampf der Überfremdung“, „Volksverräter“, „Unser Land, unsere Arbeit!“, „Was des Volkes Hände schaffen, soll des Volkes eigen sein!“, „Es reicht dem deuschen Volke!“, „Abschaffung aller Parteien!“, „Volk, wach auf, wehr dich gegen Volksverräter!“
Sie fühlen sich von Fremden verfolgt, wobei ihre Projektion ihre Opfer in Verfolger verwandelt, von denen sie sich bereitwillig zur Notwehr zwingen lassen. Immer haben Deutsche aus der imaginierten Opferrolle die Legitimation zum Losschlagen abgeleitet. Hoffentlich sind heute viele von ihnen in einem kampfunfähigen Alter. Ihre Interviews unterfüttern die Parolen: „Ausländer müssten zuerst isoliert werden. Wir sind ja biologisch anders aufgebaut als die und haben keine Abwehrstoffe gegen ihre Bazillen.“ - „Die Befehle kommen alle aus Tel Aviv und Washington, wo die jüdische Lobby regiert. Die finanziert alle Kriege und die ISIS.“ - „Nur weil wir zwei Weltkriege verloren haben, müssen wir nicht Seelsorger für Fremde sein.“ - „Die machen Sachen kaputt, klauen und werden nicht bestraft.“ - „Ich seh’ sie mit Bierflaschen in der Straßenbahn.“ – „Diese Schmarotzer kriegen alles umsonst.“ - „In westdeutschen Städten sind heute 80 Prozent keine Deutschen mehr.“ - „Wir leben in einem besetzten Land.“ – „Ausländer machen hier auf unsere Kosten Urlaub.“ – „Sind wir noch in Deutschland? Überall nur Türken.“ - „Die Islamisierung Europas wird von Brüssel aus gesteuert.“ – „In einer Schulklasse sind 34 Nationen.“ – „Ich berufe mich auf urburschenschaftliche Ideale.“ – „Wir brauchen keine Tunesier, die Asylbewerberheime anzünden.“ – „Meine Frau und ich haben mit Religion nichts zu tun, wir wollen aber nicht eines Tages zu Weihnachten in die Moschee.“
Der Deutsche zieht es vor, dem Staat die Erlaubnis abzunötigen, sich für seinen Jammer an irgendwem rächen zu dürfen, sonst droht er an, selbst das Volk zu sein. Der Faschismus ist die Staatsform, die dem Verfolgungswahn angemessen ist, weil er verspricht, völkische Rachegelüste zu vollstrecken. Dass 98 Prozent der Asylanträge ohnehin abgelehnt werden, genügt Rassisten nicht. Die von ihnen zu Objekten ihrer Rache verdinglichten Menschen sollen vogelfrei sein. Die Pegida ist der Abschaum der Mehrheitsgesellschaft, die Asylbewerber verabscheut, aber auch Langzeitarbeitslose, weil sie dem Leistungszwang, dem sie sich unterwirft, nicht zu genügen scheinen. Zur Mehrheit zählt Thilo Sarazzin, bei dessen Auftritten die Hallen ausgebucht sind, und immerhin 40,5 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Israel „Palästinenser im Prinzip so behandelt, wie die Nationalsozialisten die Juden“. Wer den Umstand, dass 20 Prozent der israelischen Staatsbürger palästinensische Muslime sind, die dort studieren, autofahren, beten, arbeiten, schwul sein dürfen, mit Auschwitz gleichsetzt, muss in einer irrsinnigen Geisteswelt leben.
Einer akuellen Bertelsmann-Studie zufolge meinen rund 60 Prozent, der Islam passe nicht ins „Abendland“. (Wenn es um die sogenannte Rentenlücke geht, mögen das auch mal weniger sein). Die täglich von jungen Muslimen erlebte Ausgrenzung erleichtert es Predigern, ihnen den Dschihad einzureden. Sinnleere, Abenteurertum, die Verachtung der „unmännlichen“ Demokratie und die Prinzipienlosigkeit, die der islamistische Ideologe als Schwäche des Westens ausmacht, mögen dazukommen. Letztere ist zugleich die Stärke des Westens. Für seine Expansion beruft er sich mal auf Menschenrechte, mal hofiert er Diktaturen. Das ist nicht prinzipienlos, sondern praktisch. Deutschland will Erdgas aus Katar, also wird ignoriert, dass das Emirat Moslembrüder bewaffnet und Arbeitskräfte versklavt, stattdessen beglückt man den Freund mit Sportfesten und Waffenlieferungen, und das Fernsehen berichtet wie aus Tausendundeiner Nacht. Junge Muslime auf Standpunktsuche wird das verwirren. Ihr Islam soll friedlich sein, aber islamisch verfasste Länder, in denen für weniger als eine Mohammed-Karrikatur zu Tode gesteinigt oder gepeitscht wird, sind Freunde des Westens. Wer Leuten die Köpfe abschneidet und sie als Trophäen in die Kamera hält, ist ein Feind des Westens. Verstanden! Wer für Judenmörder, die vorzeitig aus der Haft entlassen werden, Straßenfeste feiert, wie Mahmoud Abbas, darf in Paris in der ersten Reihe der prominenten Gäste gehen. Das irritiert.
Wer den Muslimen etwas Gutes tun will, lügt eilfertig, Gewalt habe mit dem Islam nichts zu tun, oder instrumentalisiert Migranten als Objekte der Ökonomie. Die Geschichte des Christentums und des Islams ist eine einzige Gewaltorgie. Davor schützt keine Bergpredigt. Und wenn Gewalt im Widerspruch zum Islam stünde, müssten seine Prediger die islamischen Staaten exkommunizieren und der Scharia abschwören. Tatsächlich sind die geistigen Fundamente der Mörder von Paris aber in der islamischen Welt populär und überwiegend Staatsgesetz. Kritiker werden ausgepeitscht, Frauen versklavt und gesteinigt, Schwule erschlagen, Demokratie verachtet, der Judenmord als Märtyrertat geheiligt. Gegen die neue „Charlie Hebdo“-Ausgabe rief die Fatwabehörde in Kairo eine „Welle des Zorns“ aus, die auch befolgt wurde. Wie alle Gottheiten von Menschen erfunden wurden, so hat der gewalttätige Islam mit weltlichen Machtverhältnissen zu tun. Die Herrscher setzen ihn ein, um Menschen zur Unmündigkeit und zum Gehorsam zu erziehen; die Geknechteten sollen sich dann an Israel schadlos halten. Das muss reflektiert werden, sonst hängt Pegida sich den Orden der Wahrheit um. Zu der Instrumentalisierung: Thomas Oppermann (SPD) entgegnete Pegida, dass es „ohne Einwanderer keine Überschüsse in den Sozialversicherungen und keinen ausgeglichenen Haushalt“ gebe. Die Investitionstätigkeit werde „gedämpft“, denn Unternehmen „investieren nicht, wenn die Bevölkerung schrumpft.“ Wie Sarazzin sortiert er Menschen nach dem ökonomischen Wert oder Unwert. Die Berechnung des Nutzens ist die schäbige Antwort der Aufklärung auf den religiösen Mythos vor ihrer Zeit, der mit der Ausbeutung des Menschen bisweilen verschwenderischer umging als die DDR.
Die Pegida verteidigt das Abendland, der Islamismus das Morgenland, doch in ihrem Hass auf Juden, Kommunisten, Demokratie und Kritik könnten sie sich die Hände reichen. Die Konfrontation dieser Zeit ist Böse gegen Böse. Neben der Dauerkrise prägen religiöse Mordlust, faschistische und rechtspopulistische Parteien sowie eine neue Dimension der Judenverfolgung immer mehr das Europa des 21. Jahrhunderts. Etwas Hoffnung machen intellektuelle Muslime, die an ihre Glaubensbrüder den Appell richteten: Seid ihr verrückt, die neuen Freiheiten, die kein islamischer Staat uns bietet, zu verspielen! Nutzt sie, so wie Palästinenser in Israel und in Betrieben der Siedlungsgebiete gemeinsam mit Juden den Weg in die Moderne gehen.
Veröffentlicht in „Neues Deutschland“ Sonnabend/Sonntag, 24./25. Januar 2015